68 Jahre Charta der deutschen Heimatvertriebenen

10.08.2018

„Eine der größten Leistungen der deutschen Nachkriegsgeschichte“

Ein „Gründungsdokument der Bundesrepublik Deutschland“, so ein Zitat des ehemaligen Bundestagspräsidenten Dr. Norbert Lammert, hatte am 5. August 2018 sein 68. Jubiläum: Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen war am 5. August 1950 im Bad Cannstatter Kursaal von den Vertretern der Vertriebenenverbände unterzeichnet und am Folgetag feierlich auf dem Platz vor dem Neuen Schloss verkündet worden. Um diesem Ereignis und dem wegweisenden Dokument zu gedenken, veranstaltet die Union der Vertriebenen und Flüchtlinge (UdVF) der CDU Stuttgart alljährlich eine Feierstunde vor dem Ehrenhof des Neuen Schlosses, zu der auch in diesem Jahr viele Gäste aus der Politik und den Verbänden begrüßt werden konnten.

Als Gastgeberin begrüßte die Stuttgarter Stadträtin und ehemalige Bundestagsabgeordnete Iris Ripsam, UdVF-Landes- und Kreisvorsitzende sowie Landesvorsitzende des Bundes der Vertriebenen (BdV) Baden-Württemberg, die Anwesenden. Dazu zählten etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Stefan Kaufmann, der CDU-Landtagsabgeordnete Konrad Epple, Alt-Stadträtin Bärbel Häring sowie zahlreiche Honoratioren von den Vertriebenenverbänden wie die Bundesfrauenreferentin der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Gerda Ott, die Landesvorsitzende der Landsmannschaft Ostpreußen (LO) und stellvertretende BdV-Landesvorsitzende, Uta Lüttich, der Stuttgarter BdV-Kreisvorsitzende, Albert Reich, oder der BdV-Landesgeschäftsführer, Hartmut Liebscher.

Besonders herzlich begrüßte Ripsam, die auch Mitglied des Bundesvorstandes der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU/CSU (OMV) – Union der Vertriebenen und Flüchtlinge – ist, den OMV-Bundesvorsitzenden Egon Primas MdL, der als Festredner zur diesjährigen Stuttgarter Feierstunde gekommen war.

Im politischen Teil ihrer kurzen Ansprache wurde deutlich, dass Iris Ripsam eine besondere Verantwortung Stuttgarts und Baden-Württemberg für die deutschen Heimatvertriebenen und Spätaussiedler sowie für deren Verbände sieht, die sich nicht zuletzt aus den Inhalten der Charta speisen sollte. So mahnte sie, das Land müsse sich verstärkt um die Kulturförderung der Verbände kümmern, zumal diese sehr dazu beitrügen, das mitgebrachte kulturelle Erbe zu sichern und fortzuentwickeln.

Egon Primas, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag und Mitglied des BdV-Präsidiums, hielt eine leidenschaftliche Rede, in der er die soziale und politische Lage der deutschen Heimatvertriebenen 1950 herausarbeitete, die mit der Charta verbundenen Leistungen als bis heute aktuell lobte und das Dokument gegen ideologische Angriffe in Schutz nahm.

So gebe es selbstverständlich kein Recht auf Rache und Vergeltung, doch die Vertriebenen seien selbst Opfer der immer wieder zu beobachtenden Eskalationsspirale aus Gewalt und Gegengewalt geworden. Stellvertretend hätten sie für die grauenvollen Verbrechen der Nationalsozialisten büßen müssen. Aus dieser Spirale nun bewusst auszutreten, sei „keine Selbstverständlichkeit“, sondern „eine Leistung mit Vorbildcharakter – ja, eine der größten Leistungen der frühen Nachkriegsgeschichte“.

Als zweite große Leistung bezeichnete Primas, die schon zwei Jahre vor der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl entworfene Vision eines geeinten Europas, „in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können“. Hiermit sei das Fundament für die nun schon Jahrzehnte währenden, erfolgreichen verständigungspolitischen Bemühungen der Heimatvertriebenen, Spätaussiedler und ihrer Verbände gelegt worden.

Der auf fruchtbaren Boden gefallene Aufruf zum unermüdlichen Einsatz der Vertriebenen für den Wiederaufbau Deutschlands und Europas sei die dritte große Leistung, die ihren programmatischen Ursprung in der Charta habe. Mit ihrer Aufbauarbeit und ihrer „Selbst-Eingliederung“ in die Nachkriegsgesellschaft seien die Vertriebenen zu einem Motor des bald schon einsetzenden „Wirtschaftswunders“ geworden.

Als vierte große Leistung habe die Charta eine bis heute lebendige Debatte über „das Recht auf die Heimat“ und über die internationale Ächtung und Verhinderung von Vertreibungen angestoßen, so Primas weiter. Ein völkerrechtlich bindendes Vertreibungsverbot, das somit über die Bestimmungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1949 hinausginge, sei ein nach wie vor bestehendes Anliegen der Vertriebenen und ihrer Verbände.

Deutlich betonte der OMV-Bundesvorsitzende am Schluss, dass die Charta mit ihrem Europa-Auftrag gerade in der derzeitigen politischen Lage, aber auch zukünftig die Basis der Vertriebenenpolitik und der Arbeit der Verbände bleibe. Durch die von den deutschen Heimatvertriebenen und den Heimatverbliebenen – den heutigen Angehörigen der deutschen Minderheiten in den ursprünglichen Heimat- und Siedlungsgebieten – vorangetriebene grenzüberschreitenden Verständigungsarbeit hätten erfolgreich feste Brücken zwischen den Staaten gebaut werden können. Im Kulturerhalt gingen die Kulturträger beiderseits der Grenzen oft schon Hand in Hand.

„Die Unionsparteien werden“, so zeigte sich Primas als CDU-Politiker zuletzt sicher, „als Unterstützer unserer Arbeit auch zukünftig an unserer Seite stehen“.

Mit einem Grußwort der LO-Landesvorsitzenden Uta Lüttich, in dem sie stellvertretend an das Schicksale ihrer Familie erinnerte, sowie einem Schlusswort des Stuttgarter BdV-Kreisvorsitzenden Albert Reich, der auch als Zeitzeuge der mehr als 150.000 deutschen Heimatvertriebenen sprach, die die Verkündung der „Charta“ im Hof des zerstörten Neuen Schlosses in Stuttgart erlebt hatten, ging die Feierstunde zu Ende und klang mit dem Deutschlandlied aus.

Marc-P. Halatsch/Helmut Heisig